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Ein Paar, zwei Wohnungen

Ein Paar, zwei Wohnungen

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Während sich die meisten Menschen das Leben als Paar nicht anders, als zusammen unter dem einem Dach zu leben vorstellen können, verspüren andere das Bedürfnis, sich jederzeit in ihr "Nest" zurückziehen zu können und so eine Form der Unabhängigkeit zu wahren. Fest zusammen sein, aber in getrennten Wohnungen zu leben, ein Modell, das Soziologen „Living apart together“ nennen – lange Zeit eher die Ausnahme ist nun zu einem wachsenden Phänomen geworden. Aktuelle Studien deuten darauf hin, dass Paare die in Ihrer Beziehung in getrennten Haushalten wohnen, etwa 10% der erwachsenen Bevölkerung in Nordamerika und Westeuropa ausmachen. In Schweden sind es sogar 14%.

Wer neigt besonders zu dieser Art von Beziehung? Welche Vor- und Nachteile hat diese Art der Beziehung? Schauen wir uns das genauer an.

 

 

Getrennte Wohnungen schaffen Freiraum

 

Mehrere Studien zeigen, dass vor allem ältere Paare, eine Beziehung vom Typ "Jeder für sich" eingehen, und weniger geneigt sind langfristig zusammenzuziehen. Mehrere Faktoren erklären diesen Trend. Die Babyboomer zögern nicht mehr, sich zu scheiden zu lassen und neu anzufangen. Sie haben bereits eine oder mehrere Beziehungen erlebt, die meist auf einem traditionellen Modell mit Ehe und Elternschaft unter einem Dach basierten. Sie wissen bereits, wie sehr Routine und ständiges Teilen von Intimität eine Beziehung belasten und Narben hinterlassen können. Es ist erwähnenswert, dass es in den meisten Fällen die weibliche Partnerin ist, die vorschlägt und sogar darauf besteht, getrennt zu leben. Schließlich, haben traditionell die Frauen die häuslichen Aufgaben und die mit der Elternschaft verbundenen Aufgaben übernommen. Es ist nicht überraschend, dass sie, einmal getrennt, sich um sich selbst kümmern und eine gewisse Unabhängigkeit wiedererlangen möchten.

 

Je älter wir werden, desto schwieriger fällt es uns, unsere Gewohnheiten zu ändern und aus unserer Komfortzone herauszutreten. Wenn wir eine Zeit des Singledaseins nach einer Witwen- oder Scheidungsphase erlebt haben, möchten wir uns vielleicht nicht die Mühe machen, uns an das Tempo des Partners anzupassen und Kompromisse bei unserer Lebensweise einzugehen. Schließlich ist auch der wirtschaftliche Aspekt nicht zu vernachlässigen. Für die meisten Rentner, die bereits Hausbesitzer sind und ihre Hypothek abbezahlt haben, stellt das getrennte Leben keine zusätzliche finanzielle Belastung dar.

 

 

Unabhängigkeit bewahren und gleichzeitig die Beziehung pflegen

 

Es sollte darauf hingewiesen werden, dass das getrennt Zusammenleben nicht mit allen Persönlichkeitstypen funktioniert. Ein besitzergreifender Mensch kommt möglicherweise nicht gut damit zurecht, von seinem Partner getrennt zu sein. Das Vertrauen zwischen den Ehepartnern muss stark sein! Als Paar getrennt zu leben scheint jedoch in vielerlei Hinsicht attraktiv zu sein. Erstens ermöglicht es, der Routine und dem ständigen Teilen von Intimität zu entkommen, die beide dazu neigen, eine Beziehung zu belasten. Es handelt sich um eine Beziehung, die nicht durch häusliche, materielle und familiäre Überlegungen belastet wird. Umgekehrt schafft das Planen von Treffen für intime Momente Vorfreude und trägt so zur Erhaltung von Romantik, Leidenschaft und ... Libido bei! Besonders problematisch empfinden Frauen, dass Männer häufig dazu neigen, nach dem Zusammenziehen das Flirten einzustellen. Möglicherweise beschränkt sich die Kommunikation dann nur noch darauf, wer für den Einkauf verantwortlich ist oder die Fenster putzt, anstatt sich gegenseitig wieder einmal etwas Nettes zu sagen.

 

In einer getrennten Lebenssituation gibt es keinen gemeinsamen Alltag. Wenn man sich mit dem Partner trifft, plant man bewusst Verabredungen, um den gewöhnlichen Alltag zu umgehen. Dadurch erhält die Beziehung einen Art Dating-Charakter. Wie die französische Sexologin Ghislaine Paris treffend feststellt, "Das Fehlen des anderen, der Mangel, fördert die Vorstellungskraft, ein wesentliches Element, um das Verlangen zu nähren." Die Planung von Treffen im voraus ermöglicht das Paar, wertvolle und angenehme Zeit zu verbringen und somit Ihre Beziehung zu bewahren. Schließlich bedeutet die Rückkehr in den persönlichen Raum auch, allein mit sich selbst sein und die eigenen Bedürfnisse erfüllen zu können. Dies ist eine ausgezeichnete Möglichkeit, sich vor einer Art von Entfremdung zu schützen, die oft in einer Paarbeziehung vorhanden ist. Die Psychoanalytikerin Sophie Cadalen erklärt dies mit folgenden Worten: "Das Leben als Paar entfaltet sich umso besser, wenn jeder Partner die Möglichkeit hat, seinen eigenen psychischen Raum zu haben. Das Leben an verschiedenen Orten kann dazu beitragen, diesen Raum besser zu bewahren.".Es kann dann auch vorkommen, dass wenn man sich nicht ganz fit fühlt einfach zu Hause bleibt. In solchen Momenten bekommt der Partner oder die Partnerin einen nicht in seinem besten Zustand zu Gesicht, sei es körperlich oder geistig.

 

Aber selbst wenn diese Argumente ansprechend erscheinen, hinterlassen sie nicht das Gefühl der Unvollständigkeit, als ob die Beziehung oberflächlich bliebe.

 

 

Angst vor zu viel Nähe?

 

Die Überlegung, ein getrenntes Leben zu führen, während man sich liebt, mag für Manche jedoch widersprüchlich wirken. Liebe steht doch für Großzügigkeit, Verfügbarkeit und Verpflichtung. Sich nicht mit den Einschränkungen des täglichen Lebens auseinandersetzen zu wollen, mag illusorisch und unreif erscheinen. Lieben bedeutet doch auch, gemeinsam Hindernisse und Ärgernisse zu überwinden. Es bedeutet, seinen Partner zu unterstützen und jederzeit für ihn da zu sein. Liegen nicht die Grundlagen einer Ehe in dem Grundsatz... "Ich verspreche, an deiner Seite zu sein in guten und schlechten Zeiten"? Gegenseitige Rücksichtnahme und das Eingehen von Kompromissen werden vom Psychologen als bedeutende Herausforderungen für jedes Paar betrachtet, an denen es wachsen kann. Alleine zu leben scheint also keine so feste Grundlage für den Aufbau einer starken und soliden Beziehung zu repräsentieren. Wie können gemeinsame langfristige Pläne unter diesen Bedingungen in Betracht gezogen werden? Spiegelt diese Wahl des getrennten Zusammenlebens nicht in vielen Fällen eine Angst vor Verpflichtung wider? Die Notwendigkeit, Treffen zu organisieren und Termine zu vereinbaren entfernt alle Spontaneität aus der Beziehung und kann letztendlich auch die Beziehung schaden. Schließlich sei daran erinnert, dass der wirtschaftliche Aspekt für viele ein erhebliches Hindernis für das „Living apart together“ darstellt. Für viele Paare ist die Belastung von zwei Haushalten schlicht unrentabel und für manche sogar eine große finanzielle Belastung.

 

Passt der Erfolg des getrennt Zusammenlebens letztendlich in die Entwicklung unserer Gesellschaft, die durch zunehmenden Individualismus gekennzeichnet ist? Dieses "Sei frei und sei du selbst" bestätigt: "Heute möchte niemand sein Selbst, sein persönliches Wohlbefinden auf dem Altar der Beziehung opfern"...

 

Haben Sie schon ein mal "getrennt zusammengelebt" oder leben Sie dies gerade? War dies eine sorgfältig überlegte Wahl, die von Ihrem Partner gut akzeptiert wurde? Welche Vor- und Nachteile sehen Sie?

 

 

 

Foto © Wolfhound911 /. Stock.adobe.com

Redaktion, 08.02.2024